Mai 30, 2009

Keine Wahlempfehlung

JayJay empfehlt auf L for Liberty, man sollte, "wenn auch nur ein Name auf der gesamten Wahliste sympathisch ist, (...) den auch ankreuzen." Nun stehen eine ganze Reihe mir sympathische Namen, ja auch einige Freunde und Bekannte, auf den Listen für die Parlaments- und Europawahl kommenden Sonntag. Aber will ich denen wirklich wünschen, in ein Parlament reingewählt zu werden?

Erst vor kurzem hat hier in Luxemburg das trotzkistische Urgestein Alain Krivine über seine Erfahrungen als Europaparlamentarier berichtet; sein Bericht unterschied sich eigentlich nicht wesentlich von Proudhons Anmerkungen über seine Zeit in der Assemblée Nationale 1848-1849. Abstimmungen über Gesetzestexte bei denen sich nicht einmal ein Fünftel der Abgeordneten mit dem Text auseinandergesetzt hat, sofern sie denn überhaupt anwesend sind; Missbrauch von verschiedenen Privilegien auf Kosten des Steuerzahlers und Wählers, ohne dies in irgendeiner Weise zu hinterfragen; verbale Schaukämpfe zwischen Mehrheit und Opposition, von denen jeder weiss dass sie keinerlei Konsequenzen haben, und niemanden dazu bewegen, anders abzustimmen; eine allgemeine Entfremdung von der Wirklichkeit in der sich das Wahlvolk bewegt... Die Liste ist lang. Ein deutscher Bundestagsabgeordneter hat mir gegenüber mal erzählt, dass er in seiner rebellischen Jugend gegen den "parlamentarischen Kretinismus" schwadronierte, sich später aber als guter Demokrat von solchem Revoluzzergerede distanzierte, jedoch als Abgeordneter dann feststellen musste, dass wohl doch etwas dran war.

Schon während der Wahlkampagne hörte man oft genug, der oder die Betroffene hätte ja keine Zeit, weil gerade Wahlkampf usw. Dass die verschiedenen Kandidaten und Kandidatinnen zumeist von Idealismus getrieben werden, und durchaus ehrlich in ihrem Engagement sind, mag ja sein. Jedoch sehe ich zahllose andere, sinnvollere Möglichkeiten seinen Altruismus auszuleben, als durch Legiferieren, als durch das Streben nach Mehrheiten und der Überstimmung der Minderheit. Es gibt unendliche Möglichkeiten das Leben der Mitmenschen zu verbessern, ohne ihnen diese Verbesserungen per Gesetz aufzuzwingen. Werdet doch Forscher, Ärzte, Ingenieure, Architekten, Schriftsteller, Künstler, Programmierer, setzt euch für bessere Arbeitsbedingungen in eurem Betrieb ein, oder baut selber ein Unternehmen nach euren eigenen Vorstellungen auf!

Dementsprechend werde ich sicherlich keine Wahlempfehlung abgeben, auch nicht nach altem anarchistischem Brauch ("wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten" und so. Gähn...) dazu aufrufen, die Wahl zu boykottieren, das mag der Einzelne handhaben wie er lustig ist. Für mich steht nur fest: wichtiger als die Stimme abzugeben, ist es sie zu erheben, und nach dem alten Punk-Motto "Do it yourself" selber etwas zu tun, als darauf zu hoffen oder zu fordern, dass ein Volksvertreter dies übernimmt.

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