Juni 22, 2012

245 Jahre Wilhelm von Humboldt

Zum Geburtstag des (halben) Namensgebers der ostberliner Universität, des älteren der beiden Humboldt-Brüder heute ein Auszug aus einem Klassiker des Liberalismus, der bisweilen (größtenteils wohl doch zu Unrecht) auch als protoanarchistisch charakterisiert wird und überraschenderweise einen bleibenden Einfluss auf Noam Chomsky ausübte...
die Ideen zu einem Versuch die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen aus dem Revolutionsjahr 1792. Hier ein Auszug aus Punkt 3 aus dem III. Abschnitt:

"Alles, womit sich der Mensch beschäftigt, wenn es gleich nur bestimmt ist, physische Bedürfnisse mittelbar oder unmittelbar zu befriedigen oder überhaupt äußere Zwecke zu erreichen, ist auf das genaueste mit innren Empfindungen verknüpft. Manchmal ist auch neben dem äußeren Endzweck noch ein innerer, und manchmal ist sogar dieser der eigentlich beabsichtete, jener nur notwendig oder zufällig damit verbunden. Je mehr Einheit der Mensch besitzt, desto freier entspringt das äußere Geschäft, das er wählt, aus seinem innren Sein, und desto häufiger und fester knüpft sich dieses an jenes da an, wo dasselbe nicht frei gewählt wurde. Daher ist der interessante Mensch in allen Lagen und allen Geschäften interessant; daher blüht er zu einer entzückenden Schönheit auf in einer Lebensweise, die mit seinem Charakter übereinstimmt.
So ließen sich vielleicht aus allen Bauern und Handwerkern Künstler bilden, d. h. Menschen, die ihr Gewerbe um ihres Gewerbes willen liebten, durch eigengelenkte Kraft und eigne Erfindsamkeit verbesserten und dadurch ihre intellektuellen Kräfte kultivierten, ihren Charakter vereitelten, ihre Genüsse erhöhten. So würde die Menschheit durch eben die Dinge geadelt, die jetzt, wie schön sie auch an sich sind, so oft dazu dienen, sie zu entehren. Je mehr der Mensch in Ideen und Empfindungen zu leben gewohnt ist, je stärker und feiner seine intellektuelle und moralische Kraft ist, desto mehr sucht er allein solche äußre Lagen zu wählen, welche zugleich dem innren Menschen mehr Stoff geben, oder denjenigen, in welche ihn das Schicksal wirft, wenigstens solche Seiten abzugewinnen. Der Gewinn, welchen der Mensch an Größe und Schönheit einerntet, wenn er unaufhörlich dahin strebt, daß sein inneres Dasein immer den ersten Platz behaupte, daß es immer der erste Quell und das letzte Ziel alles Wirkens und alles Körperliche und Äußere nur Hülle und Werkzeug desselben sei, ist unabsehlich.
Wie sehr zeichnet sich nicht, um ein Beispiel zu wählen, in der Geschichte der Charakter aus, welchen der ungestörte Landbau in einem Volke bildet. Die Arbeit, welche es dem Boden widmet, und die Ernte, womit derselbe es wieder belohnt, fesseln es süß an seinen Acker und seinen Herd; Teilnahme der segenvollen Mühe und gemeinschaftlicher Genuß des Gewonnenen schlingen ein liebevolles Band um jede Familie, von dem selbst der mitarbeitende Stier nicht ganz ausgeschlossen wird. Die Frucht, die gesäet und geerntet werden muß, aber alljährlich wiederkehrt und nur selten die Hoffnung täuscht, macht geduldig, vertrauend und sparsam; das unmittelbare Empfangen aus der Hand der Natur, das immer sich aufdrängende Gefühl, daß, wenn gleich die Hand des Menschen den Samen ausstreuen muß, doch nicht sie es ist, von welcher Wachstum und Gedeihen kommt; die ewige Abhängigkeit von günstiger und ungünstiger Witterung flößt den Gemütern bald schauderhafte, bald frohe Ahndungen höherer Wesen, wechselweis Furcht und Hoffnung ein und führt zu Gebet und Dank; das lebendige Bild der einfachsten Erhabenheit, der ungestörtesten Ordnung und der mildesten Güte bildet die Seelen einfach, groß, sanft und der Sitte und dem Gesetz froh unterworfen. Immer gewohnt hervorzubringen, nie zu zerstören, ist der Ackerbauer friedlich und von Beleidigung und Rache fern, aber er füllt von dem Gefühl der Ungerechtigkeit eines ungereizten Angriffs und gegen jeden Störer seines Friedens mit unerschrockenem Mut beseelt.
Allein, freilich ist Freiheit die notwendige Bedingung, ohne welche selbst das seelenvollste Geschäft keine heilsamen Wirkungen dieser Art hervorzubringen vermag. Was nicht von dem Menschen selbst gewählt, worin er auch nur eingeschränkt und geleitet wird, das geht nicht in sein Wesen über, das bleibt ihm ewig fremd, das verrichtet er nicht eigentlich mit menschlicher Kraft, sondern mit mechanischer Fertigkeit. Die Alten, vorzüglich die Griechen, hielten jede Beschäftigung, welche zunächst die körperliche Kraft angeht oder Erwerbung äußerer Güter, nicht innere Bildung, zur Absicht hat, für schädlich und entehrend. Ihre menschenfreundlichsten Philosophen billigten daher die Sklaverei, gleichsam um durch ein ungerechtes und barbarisches Mittel einem Teile der Menschheit durch Aufopferung eines andren die höchste Kraft und Schönheit zu sichern. Allein den Irrtum, welcher diesem ganzen Räsonnement zum Grunde liegt, zeigen Vernunft und Erfahrung leicht. Jede Beschäftigung vermag den Menschen zu adeln, ihm eine bestimmte, seiner würdige Gestalt zu geben. Nur auf die Art, wie sie betrieben wird, kommt es an; und hier läßt sich wohl als allgemeine Regel annehmen, daß sie heilsame Wirkungen äußert, solange sie selbst und die darauf verwandte Energie vorzüglich die Seele füllt, minder wohltätiger oft nachteilige hingegen, wenn man mehr auf das Resultat sieht, zu dem sie führt, und sie selbst nur als Mittel betrachtet. Denn alles, was in sich selbst reizend ist, erweckt Achtung und Liebe, was nur als Mittel Nutzen verspricht, bloß Interesse; und nun wird der Mensch durch Achtung und Liebe ebensosehr geadelt, als er durch Interesse in Gefahr ist, entehrt zu werden."

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